Wie mit der AfD umgehen?

Joachim Hirsch

Die AfD hat durch ihren Aufstieg für erhebliche Unruhe in Politik und Medien gesorgt. Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen hat sie erhebliche Stimmengewinne erzielt und ist in Hessen nun vor der SPD zweitstärkste Partei. Bei den im nächsten Jahr anstehenden Wahlen in einigen Bundesländern könnte sie sogar stärkste Partei werden. Die Nische, in der rechtsradikale Parteien einst verharrten, hat sie eindeutig verlassen. Das ist nicht zuletzt angesichts der Tatsache alarmierend, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die demokratischen Institutionen immer weiter absinkt. Diese Entwicklung ist allerdings nicht nur ein deutsches Phänomen, man denke nur an Frankreich oder Spanien, wo sich Entsprechendes zeigt, gar nicht zu sprechen von Italien mit seiner „postfaschistischen“ Regierungschefin oder die anscheinend unvermeidbare Wiederkehr von Trump in den USA. Die Rechtspopulisten sind gerade in den entwickelten Industriestaaten deutlich im Aufwind.

Dass rechtsradikale Einstellungen in der deutschen Bevölkerung recht verbreitet sind, ist nicht neu. Die Frage ist, wieso sie sich partei- und wahlpolitisch so stark mobilisieren lassen. Das hat einiges damit zu tun, wie die herrschende Politik – unterstützt durch den Medienmainstream – auf den Aufstieg der AfD reagiert hat. Diese Reaktion ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass auf der einen Seite die Partei als rechtsradikal und verfassungsfeindlich angeprangert wird, was durchaus zutreffend ist. Auf der anderen Seite bedient man sich aber, um Wähler zu gewinnen, teilweise deren populistischen Vokabulars, und die vielfach beschworenen „Brandmauern“ gegen sie erweisen sich inzwischen doch als recht bröckelig. Offenbar gibt es in der CDU Kräfte, die darauf hinarbeiten, mit der AfD zusammen die Regierung im Bund zu übernehmen

Was in der medialen und parteipolitischen Debatte weitgehend fehlt, ist eine genauere Analyse der Wahlentscheidungen zugunsten der AfD, der dahinterstehenden Motive und Interessen sowie daraus zu ziehender politischer Konsequenzen. Dazu ein paar Anmerkungen.

„Die AfD ist wie ein Schwamm der alle Unzufriedenheit mit den anderen Parteien, allen Zorn, allen Frust, aufsaugt“ schreibt Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung,22. 9.2023). Wie kann das geschehen? Ein Grund dafür ist, dass sie derzeit die einzig wirksame Oppositionspartei darstellt: CDU/CSU gebärden sich als Regierungsparteien im Wartestand, ohne eine grundsätzliche Alternative zur Ampelkoalition zu bieten, und die Linkspartei ist im Wesentlichen mit ihrer Selbstdemontage beschäftigt. Überhaupt hat der Aufstieg der AfD viel mit dem politischen und konzeptionellen Niedergang der Linken zu tun. Signifikant ist, dass die Linkspartei bei den Landtagswahlen in Hessen einen erheblichen Teil ihrer Wählerschaft an die AfD verloren hat. Wenn es ansonsten eine Opposition gibt, dann findet sie in Gestalt der FDP innerhalb der Regierung selbst statt. In zentralen Fragen, etwa dem Umgang mit dem Coronavirus oder dem Ukrainekrieg haben die sich als demokratisch bezeichnenden Parteien sich als das erwiesen, was Johannes Agnoli einst als „virtuelle Einheitspartei“ bezeichnet hat. Eine Diskussion über die Ursachen des russischen Angriffs und der daraus zu ziehenden Konsequenzen findet ebensowenig statt wie an der Tauglichkeit der Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine. Dasselbe gilt für die demokratische und rechtsstaatliche Angemessenheit der Corona-Politik. Die kritische Auseinandersetzung damit blieb sehr vereinzelten und häufig diffamierten Stimmen in der Öffentlichkeit überlassen und die dringend notwendige Aufarbeitung des Geschehens, vor allem der desaströsen Folgen der Lockdowns wird bis heute verhindert. Die AfD kann sich somit als Interessenvertretung all derer stilisieren, die sich politisch aus welchen Gründen auch immer nicht mehr repräsentiert und ausgegrenzt fühlen, die mit der herrschen Politik und dem sie bestimmenden Machtgefüge „dem System“ nicht einverstanden sind und ihrem Personal nur noch mit Misstrauen begegnen.

Diese – wenn man so will „Entfremdung“ – hat viel mit den gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zu tun. Die neoliberale Offensive, die infolge der Krise des fordistischen Nachkriegskapitalismus seit den achtziger Jahren durchgesetzt wurde und die durch umfangreiche Privatisierungen, Deregulierungen und den Abbau sozialstaatlicher Leistungen gekennzeichnet ist, hat dazu geführt, dass die Politik fast umstandslos den Interessen des großen Kapitals folgt und demokratische Prozesse damit weitgehend ins Leere laufen. Dass die herrschende liberale – oder besser kapitalistische – Demokratie das Potential zu ihrer Selbstaufhebung in sich trägt, weil durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln wichtige gesellschaftliche Entscheidungen der politischen Einflussnahme entzogen sind, ist in der politischen Debatte überhaupt kein Thema. Der demokratischen „Selbstbestimmung“ des Volkes sind damit klare Grenzen gesetzt, Das jedenfalls erklärt in hohem Maße die sich ausbreitende Unzufriedenheit mit den demokratischen Institutionen und die Neigung zu autoritären Lösungen.

Dass die AfD inzwischen dabei ist, die Dimensionen einer „Volkspartei anzunehmen, deutet darauf hin, dass sie sich nicht mehr nur im rechten Rand bewegt, sondern sozusagen in der gesellschaftlichen „Mitte“ angekommen ist. Die jüngsten Wahlen haben dies sehr deutlich gemacht. Ihr Populismus und Rechtsradikalismus scheinen dabei kein Hinderungsgrund zu sein. Das verweist auf eine weitere Ursache ihres Erfolgs und zugleich auf ein zentrales gesellschaftliches Problem. Nicht nur im Zusammenhang des Klimawandels ist deutlich geworden, dass die herrschende, auf unbeschränktem Ressourcenverbrauch gestützte, von Brand und Wissen als „imperial“ bezeichnete Lebensweise nicht mehr haltbar ist. Das heißt, dass die herrschenden Konsumgewohnheiten, Lebensstile, Präferenzen und Vergesellschaftungsformen radikal verändert werden müssen, wenn der Planet einigermaßen bewohnbar bleiben soll. Die Widerstände dagegen sind groß und reichen in weite Teile der Bevölkerung hinein. Die Politik steht damit vor einer bisher kaum gekannten Herausforderung. Sie muss Einschränkungen und Regelungen durchsetzen und legitimieren, die manifeste Interessen großer Teile der Wählerschaft verletzen. Die „demokratischen“ Parteien tun sich offenbar schwer damit, eine derartige Politik zu legitimieren und durchzusetzen. Das führt dazu, dass z.B. die Klimapolitik den Anforderungen nicht im Geringsten gerecht wird. Dennoch geht die Zustimmung zur Ampelkoalition immer weiter zurück. Die AfD dagegen stilisiert sich als entschlossene Verteidigerin eben dieser imperialen Lebensweise, was bedeutet, diese mit allen Mitteln und zu Lasten der Regionen außerhalb der kapitalistischen Zentren mittels der Errichtung notfalls militärisch operierender und sich abschottender Wohlstandsfestungen zu bewahren. Dafür steht nicht zuletzt das Verhalten der Partei in der Migrationsfrage. Damit werden weit verbreitete nationalistische, rassistische und migrationsfeindliche Einstellungen bedient, auch wenn eine solche Strategie die gesellschaftliche und ökologische Katastrophe nur noch unvermeidbarer macht.

Eine Politik, die sich darauf beschränkt, der AfD verfassungsfeindliche und inhumane Bestrebungen vorzuhalten muss unter diesen Bedingungen ins Leere laufen. Ein Verbotsversuch, den merkwürdigerweise auch Heribert Prantl (ebenda) fordert, würde ihr schon angesichts der Langwierigkeit und Kompliziertheit eines solchen Verfahrens wahrscheinlich eher nützen. Es käme vielmehr darauf an, mit den Interessen umzugehen, die sie bedient. D.h.  halbwegs demokratische Verhältnisse wiederherzustellen, die immer weitergehende Umverteilung von unten nach oben umzudrehen und die gesellschaftliche Spaltung nicht nur als Thema von Sonntagsreden zu behandeln. Und es käme darauf an, die notwendigen Veränderungen in der Lebensweise, z.B. was Verkehr und Mobilität, Wohnen, Konsum und Energieverbrauch angeht, entschlossen anzugehen und vor allem besser zu legitimieren. Staatliche Politik alleine kann das nicht leisten. Es bedürfte einer Mitwirkung der Medien, einer Revitalisierung der ziemlich daniederliegenden kritischen Öffentlichkeit und der Bereitschaft, auf die gesellschaftlichen Initiativen zuzugehen, die in diese Richtung zielen. Die „Letzte Generation“, was immer man von ihren Aktionen halten mag und neuerdings sogar die „Fridays for Future“ als kriminelle Vereinigung zu bezeichnen, wie es einige Staatsanwaltschaften getan haben, ist die falsche Richtung.

Dies alles ist unter den herrschenden parteipolitischen Konstellationen nicht leicht, zumal eine Konfrontation mit dem großen Kapital – nicht nur der Autoindustrie – unvermeidlich wäre. Und solange in der Regierung eine Partei ist, die – nur mit anderen Mitteln – die Sicherung der imperialen Lebensweise zum Ziel hat, die FDP, ist damit schon gar nicht zu rechnen.